Spezialpreis swissTB award 2017
Kathrin Zürcher erhält für Ihre Erforschung der Zusammenhänge zwischen der Tuberkulose-Sterblichkeit und den Wohn- und Lebensbedingungen in der Stadt Bern zwischen 1856 und 1950 einen Spezialpreis in der Höhe von CHF 1000.
Eine Erkrankung an Tuberkulose steht in engem Zusammenhang mit Armut, schlechten Lebens-, Arbeits- und Wohnbedingungen. Im 19. Jahrhundert war die Tuberkulose die häufigste Todesursache weltweit und so auch in der Schweiz. Im Jahr 1856 wurden in der Stadt Bern 15% der Sterbefälle der Tuberkulose zugeordnet. Ziel dieser Arbeit war es die Tuberkulose-Sterblichkeit und die Wohn-und Lebensbedingungen der Stadt Bern aus dem Zeitraum zwischen 1856 und 1950 zu untersuchen. Wir untersuchten historische Dokumente aus dem Zeitraum zwischen 1856 und 1950 im Berner Stadtarchiv. Darunter Sterberegister, in denen die Todesursache aufgeführt und häufig durch eine Autopsie belegt wurde. Weiter wurden Dokumente aus Erhebungen zu den Wohn- und Lebensbedingungen in der Stadt Bern miteinbezogen. Die Wohnungen in den Arbeiterquartieren, wie das Matte Quartier, auch „Schwarzes Quartier“ genannt, waren überfüllt, feucht, mangelhaft geheizt und die sanitären Anlagen waren ungenügend. Die Tuberkulose-Sterblichkeit war am höchsten im Matte-Quartier (550 pro 100'000 Einwohner), gefolgt von der Altstadt (327 pro 100'000, „ohne Schwarze Quartier“), und am niedrigsten in den Aussenquartieren (209 pro 100'000 in der Zeitperiode von 1911 bis 1915). Wir konnten ebenfalls zeigen dass die Tuberkulose-Sterblichkeit mit den Wohnverhältnissen in den Quartieren assoziiert war: je dichter die Belegung in den Wohnungen (Anzahl Personen pro Raum), je niedriger die Anzahl der Fenster pro Wohnung und je weniger Räume direktes Sonnenlicht hatten, desto höher war die Tuberkulose-Sterblichkeit. Die Bevölkerung der Stadt Bern versechsfachte sich zwischen 1856 und 1950, von 29'670 auf 146'700 Einwohner, währendem die Tuberkulose-Sterblichkeit um das zehnfache abnahm, von 330 pro 100'000 Einwohner im Jahre 1856 auf 33 pro 100'000 Einwohner im Jahre 1950. Nebst dem medizinischen Fortschritt spielten andere Faktoren wie die Verbesserungen der Wohn- und Lebendbedingungen, insbesondere der Belüftung und die Abnahme der Anzahl der Personen pro Raum, sowie Krankheits- und Präventionsmassnahmen eine wichtige Rolle. Zu den Krankheits- und Präventionsmassnahmen gehörte die Öffnung des ersten öffentliche Tuberkulose-Sanatorium in Heiligenschwendi 1895, wo die Erkrankten viel Zeit an der frischen Luft verbrachten, es folgte 1923 die erste Freiluftschule für Tuberkulose gefährdete Kinder nahe der Stadt Bern (Elfenau). Ab 1930 unterzogen sich alle Schulkinder der Stadt dem Tuberkulin-Hauttest, um anhand der Immunreaktion zu erkennen, ob die Schulkinder mit dem Tuberkulose Bakterium in Kontakt gekommen waren. Und ab 1940 wurden die Schüler/innen mit Hilfe einer Schirmbilduntersuchung (Röntgenbild des Brustkorbes) untersucht. Das erste wirksame Antibiotikum gegen die Tuberkulose (Streptomycin) wurde erst in den 1950er Jahren breit eingesetzt. Heute erkranken in der Schweiz jährlich rund 500 Personen an TB, die meisten sind Migranten und Migrantinnen, ältere Menschen oder Personen mit Immunschwäche. In der Schweiz sterben heute jedes Jahr rund 20 Personen oder infolge einer TB. Die Assoziation zwischen der Abnahme der Tuberkulose-Sterblichkeit und der Verbesserung von sozioökonomische Faktoren im 19. Jahrhundert konnte auch in Zürich, Paris, Hamburg und England-und Wales beobachtet werden. Doch in Freiburg, der Nachbarstadt von Bern, blieb die Tuberkulose-Sterblichkeit bis 1930 hoch, wahrscheinlich weil die finanziellen Mittel fehlten um die Wohn-und Lebensbedingungen zu verbessern. Wir schliessen aus dieser historischen Arbeit, dass die Verbesserung der Wohn-und Lebensbedingungen und die Einführung von Krankheits- und Präventionsmassnahmen einen wesentlichen Beitrag zur Abnahme der Tuberkulose-Epidemie in der Stadt Bern beigetragen haben, bevor wirksame Antibiotika verfügbar waren.